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Titel
Mussolini's Nature. An Environmental History of Italian Fascism. Translated by James Sievert


Autor(en)
Armiero, Marco; Biasillo, Roberta; Graf von Hardenberg, Wilko
Erschienen
Cambridge, MA 2022: The MIT Press
Anzahl Seiten
262 S.
Preis
$ 30.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian De Pretto, Historisches Institut / Abteilung für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte, Universität Bern

Bereits Umberto Eco wusste, dass der italienische Faschismus zwar keine eigene Philosophie, dafür aber eine genuine Rhetorik besaß.1 Wie sich das Mussolini-Regime zur Natur in Beziehung setzte, äußerte sich demnach in Diskursen und Praktiken, mit denen es der Landschaft Italiens und dessen Kolonien eine bestimmte Funktion verlieh und sich in diese Räume einschrieb. Diesem komplexen Wechselverhältnis gehen Marco Armiero, Roberta Biasillo und Wilko Graf von Hardenberg in ihrer Umweltgeschichte des Faschismus nach. Die Studie erschien 2022 zuerst auf Italienisch und wurde anschließend dank James Sieverts Übersetzungsarbeit einer englischsprachigen Leser:innenschaft zugänglich gemacht.2 Das dreiköpfige Historiker:innenteam untersucht die politische Ökologie des Faschismus, indem es aufzeigt, wie das Regime die ihm zugängliche Natur ideologisch instrumentalisierte und metabolisch umgestaltete. Dabei nimmt das Autor:innenkollektiv gleich in der Einführung vorweg, dass es nicht an einem ökologischen Bewusstsein der Schwarzhemden interessiert ist, gemäß dem die Faschisten sich selbstlos um einen nachhaltigen Naturschutz bemüht hätten. Vielmehr analysieren die Autor:innen vom Faschismus forcierte sozioökologische Formationen, aus denen auf der Apenninhalbinsel sowie in den Kolonien ideologisch fundierte Ökosysteme hervorgingen. Die teilweise verheerenden Folgen dieser radikalen Umweltpolitik für die davon betroffenen Menschen, Tiere und deren Habitate legen sie entlang ausgewählter Fallstudien eindrucksvoll dar. Ihnen gelingt somit ein erstes umwelthistorisches Überblickswerk zum italienischen Faschismus, das die bisherige Forschung zur politischen Ökologie europäischer Diktaturen wie des Nationalsozialismus oder des Stalinismus aufschlussreich ergänzt sowie zur weiteren Forschung etwa zu Österreich, Spanien oder Portugal anregt.3

Das Buch teilt sich in sechs Kapitel, die unterschiedliche Aspekte von faschistischen Umweltdiskursen und -praktiken offenlegen. Erstens geht es um das Verhältnis Mussolinis zur Natur, wie es die autorisierte, von Margherita Sarfatti verfasste Biografie sowie diejenige aus der Feder von Rachele Mussolini – der Ehefrau des Diktators – je unterschiedlich darstellten. Während der „Duce“ aus der ersten, beinahe märchenhaften Erzählung kraft einer rauen italienischen Umwelt und im Kampf mit dieser als eine faschistische Lichtgestalt hervorgeht, tritt er im zweiten Narrativ als ein fürsorglicher und harmoniebedürftiger Familienvater im von ihm selbst gepflegten Garten seiner Villa auf. Welchen Stellenwert Mussolini der Natur innerhalb seines faschistischen Machtsystems zuschrieb, verkündete er 1926 in einer in der Emilia gehaltenen Rede. Darin machte er klar, dass die Natur mit ihren Schätzen grundsätzlich seiner faschistischen Agenda unterstand. Für den Aufstieg Italiens zur römischen Großmacht waren die Wälder, Böden und Gewässer des Landes als eine einheitlich koordinierte Maschine mit maximaler Performanz auszubeuten.

Davon ausgehend handelt das zweite Kapitel von der Trockenlegung von Sümpfen und der sogenannten Weizenschlacht von 1925. Mit der Schaffung neuer Agrarflächen sowie der Steigerung der Ernteerträge sollte sich zwar die prekäre Versorgungssicherheit Italiens in der Zwischenkriegszeit innerhalb weniger Jahre verbessern, ohne dass dabei jedoch die sozioökologischen Folgeschäden in Betracht gezogen wurden. So sehr diese autoritäre Ressourcenpolitik als ein früher Ausdruck der verheerenden politischen Ökologie des Regimes zu verstehen ist, so sehr war sie auch ein Resultat von Expertenwissen und Gesetzen, deren Ursprünge ins liberale Italien zurückreichen.

Ebenfalls in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg fallen die Anfänge des Ausbaus der italienischen Hydroenergie, für deren massives Wachstum sich das Regime in erster Linie selbst rühmte. Das dritte Kapitel wendet sich hierzu der Wasserkraftindustrie zu und verweist darauf, wie während des ventennio neros wasserreiche Bergtäler den Autarkieplänen Roms zum Opfer fielen. Die Industrialisierung weitverzweigter Flussläufe diente schließlich genauso einer ausbeuterischen Planwirtschaft wie die Entsumpfung ganzer Landstriche, wobei auch bei der Wasserkraft Kollateralschäden wie etwa Dammbrüche in Kauf genommen wurden. Energie aus landeseigenen Ressourcen galt es außerdem für den Straßenverkehr zu erzeugen, weshalb Wälder mit schnell wachsenden, allogenen Baumarten aufgeforstet werden sollten, um massenhaft Holz für den Antrieb von Holzgasmotoren zu gewinnen. Wenig überraschend, standen die Interessen der nationalen Forstwirtschaft auch bei dieser Ressource über den Anliegen einzelner Kommunen oder Regionen.

Im vierten Kapitel steht nicht die wirtschaftliche Nutzung, sondern der Schutz der italienischen Landschaft und deren Fauna im Fokus. Die vier in den 1920er- und 1930er-Jahren gegründeten Nationalparks dienten grundsätzlich dazu, bestimmte vom Regime vorgegebene Naturbilder zu propagieren. In den beiden Nationalparks Gran Paradiso und Abruzzen verfügte die 1934 zentralstaatlich beauftragte Forstmiliz aber weder über ausreichende Kenntnisse des Wildtierschutzes, noch ging sie auf die Bedürfnisse der einzelnen Parkgemeinden ein: Unzureichende Entschädigungen, Wilderei und Jagdlizenzen für Parteikader machten jegliche Schutzbemühungen obsolet. Im Falle der in den 1930er-Jahren eröffneten Nationalparks Circeo und Stelvio diente die Landschaft schließlich als die Kulisse einer kriegerisch-heroischen Geschichtsklitterung, die dem Tourismus zugänglich gemacht werden sollte. Genauso ideologisch geleitet zeigte sich der faschistische Wildtierschutz: Während Wölfe, Füchse und Adler zum Abschuss freistanden, verlangte ein Ministerialdekret aus Rom von 1936 den Schutz des Braunbären in der Provinz Trentino. Die dazugehörige, an Mussolini gerichtete Appellation stellte den Braunbären als ein Symbol der Stärke, des Widerstands und des Sieges in den Alpen dar. Wie der Diktator selbst dieses Großraubtier wahrnahm und weshalb er sich umgehend für dessen Schutz aussprach, bleibt im Kapitel leider unerwähnt. Am Ende konnte sich die Bärenpopulation im Trentino aufgrund des Widerstands der Lokalbevölkerung aber kaum erholen. Auf eine transnationale Kooperation sowie eine wissenschaftliche Observation setzte das Regime hingegen kurzzeitig beim Vogelschutz, da Wachteln und Spatzen bei ihren saisonalen Zugbewegungen die Apenninhalbinsel ungestört überqueren sollten.

Das fünfte Kapitel wendet sich der italienischen Kolonialgeschichte zu. Den Naturraum Nord- und Ostafrikas galt es schließlich ebenso der faschistischen Ökologie zu unterwerfen, um mit einer ertragreichen Agrarwirtschaft die Grundlage einer Siedlungskolonie zu schaffen. Was die Regimepropaganda anhand exemplarischer Heldenerzählungen, Kreuzfahrten und medialer Traumbilder anpries, blieb in der Realität jedoch unerfüllt und trieb Zehntausende von umgesiedelten Bauernfamilien in den existenziellen Ruin. Ebenso scheiterte die Vision, am Horn von Afrika Edelmetalle zu fördern. Obwohl international verliehene Schürfrechte ein lukratives Geschäft mit französischen und englischen Bergbauunternehmen verhießen, erbrachten die Lizenzen kaum Ertrag: Die erschlossenen Minen wiesen weder genügend Gold- noch Platinvorkommen auf, und nirgends waren angemessene Infrastrukturen für den Abtransport der Edelmetalle vorhanden. Die imperialen Expansionsmotive, in den unterworfenen Kolonien jene Ressourcen wie Agrarland oder Bodenschätze zu gewinnen, an denen es Italien mangelte, erweisen sich somit rückblickend als die überheblichen Wunschvorstellungen eines verblendeten Gewaltregimes.

Das letzte Kapitel handelt schließlich davon, welche Spuren der Faschismus in der Memoriallandschaft des republikanischen Italiens hinterlassen hat. Dessen in der Nachkriegszeit lange verdrängte sowie später zusehends umkämpfte Erinnerungskultur überschrieb bei zahlreichen Denkmälern deren ursprüngliche Aussageintention, sodass Historiker:innen oder auch Aktivist:innen eine kritische Auseinandersetzung mit der Mussolini-Diktatur bis heute immer wieder öffentlich einfordern müssen. Hier bleibt allerdings die Frage offen, inwiefern die faschistische Machtsymbolik nicht nur in Monumenten steckt, sondern vielleicht auch in den vom Regime errichteten Infrastrukturen wie Stauseen, Stromnetzen oder Verkehrswegen: der Ausrichtung und Organisation solcher Verteilnetze bleiben die für ihre Planung ausschlaggebenden Machtverhältnisse schließlich weiterhin inhärent. Dermaßen umfassend untersuchen die Autor:innen die faschistische Landschaft Italiens freilich nicht, sodass sie spannende Ansätze für weiterführende Studien freilegen.

Das aufschlussreiche Buch schließt mit dem Fazit, dass Mussolini und sein Gefolge primär die nach ihrem Weltbild konstruierte Landschaft zelebrierten, ohne der Natur an sich irgendeinen Eigenwert beizumessen. Sie handelten und gestalteten gemäß ihrer politischen Ökologie, nach der sie die Umwelt den passenden Erzählungen eines vermeintlich aufsteigenden Imperiums unterwarfen. Dabei galt es nicht etwa Ökosysteme zu bewahren, sondern diese im Kampf gegen naturräumliche Widerstände zu besetzen, zu erobern und auszubeuten. Der siegreiche faschistische Mensch sollte mit seiner Umwelt verschmelzen, indem diese sich ihm bezwungen hingab. Gewiss handelte es sich hier mitunter auch um ein technokratisches Weltbild der Hochmoderne, der sich das republikanische Italien anfänglich ebenso verschrieb wie zahlreiche andere Nationen nach 1945. Mit der Frage, wie wir uns mit solch gewaltsamen Naturwahrnehmungen in die heutige Klimakrise manövriert haben, weist das Buch einen ausgesprochen relevanten Gegenwartsbezug auf. Mit diesem facettenreichen Einblick in die Umweltgeschichte des Faschismus liegt somit nicht nur eine exzellent ausgearbeitete Studie zu einem europäischen Gewaltregime vor, sondern genauso ein Aufruf zur kritischen Selbstreflexion, wie wir unsere Umwelt heute wahrnehmen und mit ihr interagieren wollen.

Anmerkungen:
1 Umberto Eco, Der ewige Faschismus, 4. Aufl., München 2020, S. 22.
2 Marco Armiero / Roberta Biasillo / Wilko Graf von Hardenberg, La natura del duce: una storia ambientale del fascismo, Turin 2022.
3 Patrick Kupper, Umweltgeschichte, Göttingen 2021, S. 144–158.